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MYRZO. MARIANO. MIKLIN.

Ich stamme aus Mürzzuschlag, einem Ort nahe dem Semmering, bekannt geworden durch den Bau der Semmeringbahn, den Ski-Pionier Toni Schruf, die Schoeller-Bleckmann-Werke und den Geburtsort von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die jedoch bereits als kleines Kind nach Wien zog, auch gab es noch viele andere interessante Begebenheiten, so den Sommeraufenthalt von Johannes Brahms in dieser Stadt oder auch der berühmte chilenische Klaviervirtuose Claudio Arrau, den der Tod hier ereilte, wenn man das irgendwie hinzuzählen kann. Jedenfalls ist es ein Ort, wo die Mürz mit der Fröschnitz zusammenfließt und sich von dort in Richtung Bruck aufmacht, wo die Mur auf sie wartet. Hohe Berge umrahmen die Stadt, Rax, Schneealpe, Stuhleck, Pretul, Bärenkogel und wie sie alle heißen, sie bewirken auch das etwas raue Klima dieser Gegend, worüber so mancher Einheimische klagt, überhaupt, wenn er in die älteren Jahre kommt und sich die verschiedenen Zipperleins allmählich bemerkbar machen. Ich habe in Myrzo, so nenne ich diese Stadt für mich, der Einfachheit halber und weil mir dieses Wort wesentlich besser gefällt, die Schule besucht, dort maturiert und vier wunderbare Jahre lang die örtliche Bibliothek geführt, als Ein-Mann-Betrieb, vielfach als Bücherwurm belächelt, jedoch auch respektiert von denen, die gerne in den Büchern ihre Freude fanden, wohingegen die renitenten Nicht-Leser ihre Abfälligkeiten oft nicht verbergen konnten, vor allem wenn man in den Gasthäusern zusammensaß und mit steigendem Bierkonsum lauter und geselliger wurde, da gab es dann schon manchmal heiter gemeinte Grobheiten. Ich ging dann aus beruflichen Gründen nach Graz, in eine wesentlich größere Bibliothek, die mir im Laufe der Jahre zu meiner eigentlichen und einzigen Heimat wurde, nicht ein Land, eine Stadt, nein, diese Bibliothek ersetzte mir alles, was man mit dem Heimatbegriff überhaupt sagen möchte. Bei besonderen Anlässen zog es mich aus familiären und freundschaftlichen Gründen jedoch immer wieder nach Myrzo zurück.

Als großer Musikliebhaber hatte ich natürlich meine Lieblingsstücke, Lieblingskomponisten, Lieblingssänger und Lieblingsvirtuosen. Ein Künstler davon war der Jazz-Saxophonist Charlie Mariano, den ich ganz besonders verehrte. So kam es, dass ausgerechnet in Myrzo ein Konzert angekündigt wurde, wo Charlie Mariano mit zwei weiteren Künstlern auftrat, einem Pianisten und einem Kontrabassisten. Ich konnte es gar nicht glauben, dass dies wahr sein sollte und ich wunderte mich sehr, wie dieses Konzert hier in der Provinz überhaupt möglich war. Ich nutzte also diese sensationelle Gelegenheit, Charlie Mariano, der damals doch schon sehr in die Jahre gekommen war, wenigsten ein Mal lebendig zu sehen und zu hören.

Ich war bereits eine Stunde früher angereist, um nur ja nicht den Auftritt meines verehrten Virtuosen zu versäumen, hatte mir bereits zu Hause einige seiner Compact-Discs angehört und war also völlig auf seine Musik eingestellt. Ich betrat eine Viertelstunde vor Beginn des Konzerts den Saal, kam mir jedoch sehr seltsam vor, denn ich war der einzige Zuhörer weit und breit. Ich hatte schon Angst, dass man das Konzert absagen würde, wenn sonst niemand mehr kommt. „Myrzianer, Ihr Banausen!“ rief ich laut in mich hinein und leichter Ärger mischte sich in meine so feurige Vorfreude. Zu meiner Rettung trafen fünf Minuten vor Beginn noch ein paar Leute ein, der Abend war also gerettet! Als ich genauer hinsah, erkannte ich sofort den einen Besucher als Karlheinz Miklin, den berühmten Grazer Saxophonisten und Jazzmusiker, den ich zufällig einmal persönlich kennenlernen durfte und von dem ich damals eine LP mit persönlicher Widmung geschenkt bekam. Seit damals ist diese Schallplatte eine Art Heiligtum in meiner Sammlung.

Bewegte Klangfiguren schwebten durch den Saal, Charlie Mariano, ein Klang-Zauberer, er spielte, als würde er ein Fensterglas behauchen, hinter dem ihm ein verliebtes Mädchen verführerische Posen macht, sexy auch der Mann am Kontrabass, die Saiten auf seinem Rieseninstrument brummten und summten wie bei einem Liebesspiel, am Klavier ein stürmischer Passatwind, geschlungene Klangmäander, brausten über die Tasten,  irgendwie bierig-sinnlich, schwermütig auch. Charlie ist ungefähr 63, der Pianist wohl um die 40, der Mann am Kontrabass so um die 50, aber sie werkten wie ewig Junggebliebene! Dafür das Publikum, langweilige Gesichter, feuerlose Gaffer und Lauscher, denen wohl das Bier und der Wein wichtiger war als Jazzmusik. Was tut denn Gott auch in der tiefsten steirischen Provinz? Allmählich erkenne ich, warum das Ganze stattfindet! Sie spielen einzig nur für mich und Karlheinz Miklin!  Herrliche Kompositionen sprudelten daher, wie das quirlige Wasser im Flussbett der Mürz, wenn sie in der Frein über den Felsen herabstürzt!  Ich sehe diese Musik plötzlich als den roten Faden in meinem Leben:  dazwischen der Weg meiner Liebe, all die Ecken und Kanten meines Seins, all die Mühen der Arbeit an mir selbst. Heute also eine Belohnung zwischendurch, eine Injektion für das Mentale, irgendwie natürlich alles auch kurios, Das Ambiente des Kunsthauses, der rohe Stein, Ziegel, das vergorene Rot der Steine, wirkt wie eine Aura der Unvergänglichkeit (es ist die ehemalige Mälzerei, hier verunglückte ein Mitglied unserer Familie vor über hundert Jahren tödlich, ein Eisblock erschlug ihn beim Nachfüllen des Lagers). Ja, der Abend ein bisschen Lagerfeuermusik, Jazz am Lagerfeuer für einige Unentwegte, Charlie: graues Haar, buschige Brauen, Birnenfigur, das Alter spürbar auch im Ansatz, rotes Hemd, schwarze Hose, diese zarten Hände! Die Musik schmelzend, perlend, sehr dunkel zuweilen, blumig, gar nicht so professionell, sehr direkt, unaufdringlich. Ein grosses Geschenk, dieser Abend. Ich spüre den Hauch vom Zauber der Musik, sie geht ganz subtil in die Venen, ich spüre diesen Virus der jazzigen Akustik. Die Rhythmen, die Melodien, diese Lust am Musizieren -  ich fühle mich berauscht, als hätte ich schweren Wein getrunken: es vermischt sich der Klang mit der unsichtbaren ewigen Seele, der Weltgeist der Kunst gluckert durch die Stunde, weit zurück bis Pan, der auf seiner Flöte die Sirene zerbläst. Am Contrabass eine Lederhalterung für den Bogen, sieht aus wie für einen Colt (die Colthalterung von Billy the Kid). Ich ging als anderer Mensch aus diesem Konzert, bewegt und berührt, von Charlie Mariano verwandelt in einen Violinschlüssel, mit dem ich jegliche Musik von nun an öffnen und besser hören konnte.

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