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Die Wahl der Mittel in der Politik

Die Meinungen über die Rechtmäßigkeit der Mittel für das „Projekt Ballhausplatz” sind offensichtlich geteilt. Zumindest in den sozialen Medien. Nicht zum ersten Mal, und nicht nur in diesem Land, tut die Politik, was zur Erfüllung ihres Willens getan werden muss? Als es darum ging, Osama Bin Laden als Drahtzieher von 9/11 zu fassen, unterließen die USA rechtswidrig, Pakistan über die Operation auf dessen Staatsgebiet zu informieren. Als die Parteispitze der Linkspartei in der BRD beschloss, dass die Franktionsvorsitzende Sara Wagenknecht „gegangen werden muss“, gab es im Vorfeld einen internen Austausch darüber: „Wenn sie immer wieder abgewatscht wird und sie merkt, sie kommt mit ihren Positionen nicht durch, wird sie sicher von alleine gehen (10/2017)". Im November 2019 legte Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag nieder.
Wer oder was bedrohte Österreich derart, dass Kurz sich berechtigt fühlte, die Mittel der „Untreue”, „Käuflichkeit” und „Bestechung” zu wählen? Und warum konnte Sebastian Kurz seine Hauptaufgabe, nämlich „seinem Land zu dienen”, nicht auch mit Reinhold Mitterlehner an der Spitze der Partei erfüllen?
Das Mittel der verdeckten Finanzierung von Umfragen durch Thomas Schmid, den damaligen Generalsekretär und Kabinettschef des Finanzministeriums und Vertrauten von Kurz, schien notwendig, weil man auf die ÖVP-Parteikasse nicht zugreifen konnte. Die verdeckte Finanzierung der Umfragen erfolgte durch Inserate. Nur Sichtbarkeit durch Inserate war aber zuwenig, die Inserate brauchten eine Bestimmung. Diese Bestimmung kam von frisierten Meinungsumfragen. Die Zeitung „Österreich“ bezahlte die Meinungsumfragen an das Meinungsumfrageinstitut und das BMF kompensierte diese Kosten der Zeitung „Österreich“ mittels Inserateschaltungen. In der Realität schlug sich das laut WKStA und zahlreichen österreichischen Zeitungen, die diese Zusammenhänge derzeit laufend auswerten, in Chat-Verläufen zum Beispiel so nieder: Umfrageergebnis in der Zeitung „Österreich“ im Dezember 2016 - Mitterlehner-ÖVP: 18 Prozent, SPÖ: 26 Prozent, FPÖ: 35 Prozent. Sebastian Kurz kommentierte diese frisierte Umfrage mit der Handy-Chat-Nachricht: „Danke Dir! Gute Umfrage, gute Umfrage :)“.
Der Staat bezahlte demnach diese Umfragen über das BMF, von denen ein Parteimitglied, der emporstrebende Aussenminister und Kanzler in spe Sebastian Kurz, direkt profitierte. Das Ziel, die Übernahme des Ballhausplatzes, schien dieses Mittel zu rechtfertigen, weshalb nach Ansicht von Kurz und seinen Vertrauten der Vorwurf der Bestechlichkeit und Untreue haltlos ist und die Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und der ÖVP-Zentrale ohne jeden echten Beweis der WKStA erfolgten! Neben mehr als 1 Million Euro für Inserate an die Zeitung „Österreich“ wurden Aufträge für Studien über „Betrugsbekämpfung“ und andere wichtige Themen in einem Gesamtwert von über 500.000 Euro an das Meinungsforschungsinstitut „Research Affairs“ gegeben. Auftraggeber war immer Thomas Schmid als Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium, über dessen spätere Ernennung zum ÖBAG-Alleinvorstand Sebastian Kurz laut Aussagen im „Ibiza“-U-Ausschuss nur informiert worden war. Der Vorwurf der „Falschaussage“ sowie des „Illegitimen Postenschacherns“ wegen der Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding sei laut dem Ex-Kanzler außerdem haltlos, denn sein Favorit sei Sigi Wolf gewesen, wie er im ORF-Interview mit Armin Wolf am 12.5.2021 bekräftigte. In diesem Moment müssen bei allen, die die Person Sigi Wolf damals schon gut kannten, die Alarmglocken geläutet haben; alle anderen, die beispielsweise kein Faible für „Demokraturen“ russischer Prägung haben, hatte die „Ballhausplatz-Gang“ wieder auf den Leim geführt.

Kurz als Verfassheit, so wie die Verfassung
Das gerne erzeugte Bild der ÖVP als geschlossene Partei hinter Kurz ist freilich unhaltbar. Zielgruppe der Meinungsumfragen in der Zeitung „Österreich“ waren ja in erster Linie die eigenen Leute der Partei. Sie waren die Manipulierten, sie sind die Betrogenen.
Die ÖVP wird intern klären wollen, was es bedeutet, wenn Arbeitskollegen und ideologische Parteifreunde ein Netz aus Lügen und Intrigen um den jeweiligen Gegner spinnen können, und inwieweit Parteifreunde dieses perfide Verhalten tolerieren und sogar öffentlich mittragen mussten.
Im Moment sieht es jedoch nicht danach aus, als ob sie dies in aller Gründlichkeit zu tun gedenkt. Warum eigentlich nicht? Ist der Gruppenzwang noch zu stark? Ist es ein ungeschriebenes Gesetz, wie „nicht gegen die Freiheitsstatue zu pinkeln“*?
„Es kann nicht sein“! „Es kann nicht sein“, dass Kurz sowas tut? Es kann nicht sein, dass Kurz die gezielte Sabotage des Parteigegners Mitterlehner wie sein persönliches Versagen aussehen ließ und den Umstand, dass dieser nur mit geringem Kampfgeist reagierte – vermutlich wegen des Ablebens seiner ältesten Tochter Martina – für seinen eigenen Aufstieg nutzte. Sogar der bestinformierte ORF-Granden Armin Wolf stolperte in der Hitze des Gefechts über diesen persönlichen Schicksalsschlag Mitterlehners.
Auch Kurz ist nur ein Mensch, wie er Anfang Oktober bei seinem Rücktritt beteuerte – zumindest, wenn es um ihn selbst geht, klappt es plötzlich mit der eher ungeilen „Menschlichkeit“. Das Profil schreibt, die WKStA bewertet, dass Kurz über jeden Schritt, dh jedes Mittel, im „Projekt Ballhausplatz“ informiert war und dass er die „Grundsatzentscheidungen“ traf, die von seinem Berater:innen- und Vertrautenkreis, allen voran Thomas Schmid, weitgehend autonom umgesetzt wurden. So wie unsere Verfassung Grundwerte vorschreibt, nach denen Gesetze geschaffen werden, wirkte Kurz. Nur wenn es nötig war, hat der Ex-Kanzler korrigiert oder gerügt. Da sag noch einmal einer, Kurz sei nicht zum Herrscher geboren! „Bussi“.

Was stehen bleibt
„Eine Wahl spiegelt stets den Willen des Volkes wider und dieser wurde in den letzten beiden Wahlen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht“, liest man in einer von allen ÖVP-Regierungsmitgliedern unterzeichneten Erklärung der Bundesregierung. Man muss davon ausgehen, dass diese Leute den vollen Inhalt ihrer Botschaft erst später verstehen werden und hoffen, dass sie Kurz für die Schande, die er über sie gebracht hat, bezahlen lassen. n
*(Colson Whitehead „Harlem Shuffle")

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