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Die Frau ist uninteressant

Das Problem der Gewalt von Männern gegen Frauen in Österreich hat mit 11 Frauenmorden in diesem Jahr einen traurigen Höhepunkt erreicht und wird von Regierungsmitglieder mit intensivierter Betreuung von Gewalttätern wie Opfern und Ursachenstudien bekämpft. Schon früher haben Psychiater*innen, wie zum Beispiel Erwin Ringel oder Heidi Kastner, die Gründe für männliche Gewalt erforscht.

Den 11 Frauenmorden, die Österreich seit Jahresbeginn schockierten, folgten sofortige Maßnahmen zur Umsetzung einer effektiven Gewaltschutz- und Gleichstellungspolitik. Die Regierung schnürte ein 24,6 Millionen Euro großes Massnahmenpaket, im Zuge dessen auch die Männerberatungsstellen stark aufgestockt werden. Die Gesellschaft wurde und wird ab nun mit Kampagnen und Initiativen von Seiten des Innenministers Nehammer, des Gesundheitsministers Mückstein, der Justizministerin Zadic und der Frauenministerin Raab wachgerüttelt. Dieses Interesse ist begrüssenswert, da es Expert*innen braucht für komplexe Materien den Geisteszustand und die Gefühlswelt von Menschen betreffend, die ihre Findungen den Menschen erklären, und sie nicht - oder zumindest nicht nur - dem Hausverstandes überlassen.

Österreich als Vorbildland in Sachen Gewaltschutz, weist überproportional viel Gewalt gegen Frauen und Femizide im europäischen Vergleich auf, wie vielfach medial kolportiert wurde. Gegenüber Dem Standard erläuterte die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner die „geringe Zahl an männlichen Opfern (damit), weil Männer meist in kriminellen Subkulturen und eskalierenden Streiten getötet werden." Zu den Todesursachen von Frauen sagt Kastner: "Wir sind ein relativ sicheres Land, was das betrifft. Für Frauen sind wir nicht so sicher, weil sie in über 90 Prozent der Fälle in Beziehungskonstellationen getötet werden." Patriarchale Rollenbilder sind demnach kausal für die Todesursachen von Männern und Frauen.

Rechtspolitische Herausforderungen der Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) vermochten schließlich, die Ursachenermittlung der Femizid-Serie in Österreich auf die kulturelle Ebene zu verlagern, verkörpert durch das Stereotyp des besitzergreifenden migrantischen Mannes. Um Frauen mit Migrationshintergrund in Österreich zu stärken und patriarchalen Strukturen in den österreichischen Migrantencommunities entgegenzuwirken, kündigte die amtierende Frauenministerin eine Studie an, die sich „mit den unterschiedlichen Motiven kultureller Gewalt“ befasst, und erntete prompt viel Kritik dafür.

Unbestritten ist, dass statistisch gesehen rund ein Drittel der Morde seit Jahresbeginn von Männern nicht-österreichischer Abstammung verübt worden sind. In welchen Fällen das Motiv kulturell bedingt war, und wann die individuelle Charakterstruktur oder soziokultureller Druck aus der Arbeitswelt oder dem Alltag waren, kann aus der Statistik nicht herausgelesen werden.

Ein österreichischer Psychiater, der den besitzergreifenden Mann in seiner Agitation im Alltag zu pointieren wusste, war Erwin Ringel. In einer Parlamentarischen Enquette des Jahres 1993 mahnte Prof. Ringel als Projektleiter der präsentierten Studie "Ursachen und Folgen von Gewaltanwendung gegenüber Frauen und Kindern" vor zu schnellen Schlußfolgerungen über die Herkunft der Gewalt. Nicht nur, wer Gewalt in der Kindheit erlebt hat, gibt diese ab. Auch Menschen, die selbst keine Gewalt erlebt haben, kommen „durch bestimmte bedrückende soziale, finanzielle, stressige Faktoren in eine solche Bereitschaft zur Aggressivität“.

In Ringels wohl berühmtesten berühmtesten Vortrag „Die österreichische Seele“, der auf dem gleichnamigen Buch basierte, beschrieb der Psychiater der Nation Ringel ein Charakteristikum für den besitzergreifenden Typ Mann, das wie ein Indiz für einen ganzen Seelenkomplex steht. „Die Frau ist für ihren Mann uninteressant. Bis zu dem Moment wo ein anderer kommt!“ Und sozusagen die Gefahr besteht, dass der andere sie - den Besitz - wegnimmt. Dieses Verhalten ist wie das öffentliche Diffamieren, das Lächerlichmachen, Beleidigungen über das Aussehen, Behauptungen, die Frau sei verrückt oder selbstmordgefährdet, die häufig Indizien für eine diskriminierende und verbrecherische Absicht in Männern sind. Und eben weil dieses „typisch österreichische“ Verhalten Frauen gegenüber, so evident ist, ist das Zeitzeugnisse von Erwin Ringel wichtig und richtungsweisend. „Auch der Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller registriert seit „zwei, drei Jahren“ verstärkt Femizid-Täter, die „in cold blood“ handeln.“ schrieb das Wochenmagazin Profil in über die Femizid-Serie. Haller sagte: „Da werde weniger im Zuge einer eskalierenden häuslichen Situation nach „todsicheren Lösungen“ gesucht, sondern die Tat von langer Hand geplant.“ Zudem weisen diese Täter meist keine Vorstrafen auf und werden als völlig normal beurteilt. 

Erwin Ringel sagte in der bereits erwähnten Parlamentarischen Enquette, dass der Begriff der Gewalt unerforscht ist. Dem ist auch heute noch zuzustimmen. Wenn Männer Frauen schlagen, treten oder würgen wird das gemeinhin als Gewalt klassifiziert. Solchem Verhalten wird künftig  durch das Maßnahmenpaket entgegengewirkt.

Dem zu späten Eingreifen durch die Justiz, die Exekutive und die Gesellschaft soll mittels Juristische und psychosoziale Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt wurden.

Auch das Profil zitierte im Zusammenhang mit den jüngsten Femiziden die Linzer Psychiaterin Heidi Kastner: „Das sind oft verdeckte Narzissten“ analysiert Kastner „inkompetente, eher unscheinbare Männer, die für die Situation einer Trennung keine Strategie parat haben.“ Angesichts des Scheiterns ihres Lebenskonzepts können solche Typen „kippen“, wobei sie der festen Überzeugung sind, dass sie mit dieser Selbstermächtigung im Recht sind, nach dem Motto: „Sie hat mein Leben zerstört, also steht es mir zu, ihr ihres zu nehmen.“

Das bekannte Bild des perversen, sexuell motivierten Frauenmörders wird von den Expert*innen widerlegt. Einer der Täter, der Mann, der seiner Freundin in den Kopf schoß, hatte die Grüne Klub-Obfrau Siggi Maurer davor als sexuell konnotierte „kleine, dreckige Bitch“ bezeichnet. Es spricht also vieles dafür, dass gesellschaftliche Entwicklungen und Trends bei der Beurteilung von Gewalt berücksichtigt werden – was beispielsweise mit Hass im Netz-Kampagnen geschieht.

Bei all den zitierten Mordgründen „Machtgier“, „Besitzwille“, usw, die einer narzisstischen und aggressiven Persönlichkeit zum Opfer fielen, habe ich nicht einmal gesehen oder gelesen, dass die polizeibekannten oder auffällig aggressiven Mann medikamentöse Behandlungen wegen ihrer Symptome erhielten. Nicht um ihre Viktimisierung zu begünstigen, sondern um ihr gewalttätiges Verhalten – wie es heute üblich ist – ruhig zu stellen. Eine häufige Folge der Zerrüttungsszenarien ist, dass die Opfer aufgrund psychischer Probleme medikamentös behandelt werden oder psychisch betreut werden müssen. Die Meldung beim psychosozialen Dienst für dysfunktionale Menschen ist heute gängige Praxis in Österreich. Nicht nur in der Suizid-Prävention, sondern bereits viel früher, wo ein Mensch durch dysfunktionales, meist selbstschädigendes Verhalten im Alltag auffällt, wird die betroffene Person angemessen an ihr Leiden heute standardmäßig medikamentös „ruhiggestellt“. Für Täter gestaltet sich die Psychiatrie heute als Ausfluchtshafen, weil sie als psychisch Kranke dem normalen Strafvollzug entgehen.

 

Das post-nazistische Österreich

Erwin Ringel analysierte die post-nazistische Gesellschaft und ihre Krankheitsmuster, die autoritäre Strömungen begünstigte, und befand sich in seiner Kritik in einer Minderheitenposition. Die vom Nazionalsozialismus geprägte Gesellschaft in der die Aufhebung des menschenrechtlichen Verbots der Diskriminierung lange nachwirkte, identifizierte er in vielerlei Hinsicht als pathologisch.

Ungefähr zur selben Zeit als man in Österreich dem 100sten Geburtstag von Erwin Ringel einige Sendungen im Rundfunk und Artikelbeiträge widmete, gedachte man dem 100sten Geburtstag von Sophie Scholl, der hingerichteten Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus, über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg.

Die Beschreibung der Geschwister Scholl seitens der Kinderpsychologin Alice Miller hinterließen in mir einen tiefen Eindruck. Miller schrieb: „Meine Hypothese, dass Adolf Hitler seine grosse Anhängerschaft den unmenschlichen, grausamen Prinzipien der Säuglings- und Kindererziehung verdankte, die damals in Deutschland herrschte, bestätigt sich auch in Ausnahmen. Ich bin der Frage nachgegangen, wie die beiden jungen Widerstandskämpfer im Dritten Reich, Sophie und Hans Scholl, aufgewachsen sind. Es hat sich herausgestellt, dass sie es tatsächlich der toleranten und freien Umgebung ihrer Kindheit verdankten, dass sie, bereits in der Hitlerjugend, die Parolen des Führers während des Nürnberger Treffens durchschauten, während ja beinahe alle ihre Altersgenossen vom Führer restlos begeistert waren. Aber die Geschwister Scholl trugen in sich bereits ein anderes freieres Menschenbild, mit dem sie Hitler vergleichen konnten und das ihren Kameraden fehlte (vgl. A. Miller, 1980). Die Seltenheit dieser Voraussetzung erklärt auch, warum manipulatorische, therapeutische Methoden von den Patienten kaum durchschaut werden können: sie repräsentieren ein System, dass dem Patienten ganz selbstverständlich erscheint und daher gar nicht auffallen kann. Inge Aicher-Scholl berichtet: Als mein Bruder aus Nürnberg zurückkam, erschien er uns völlig verändert: müde, depremiert und verschlossen. Er sagte nichts, aber jeder spürte, dass etwas passiert sein musste zwischen ihm und der Hitlerjugend. Nach und nach erfuhren wir es. Der unsinnige Drill, die vormilitärischen Aufmärsche, das dumme Geschwätz, die ordinären Witze – das alles hatte ihn fertiggemacht. Von morgens bis abends Antreten, immer wieder Reden, und dann diese künstliche Begeisterung. Zeit für ein vernünftiges Gespräch blieb nicht.Was in Nürnberg passiert war, irritierte Sophie wie uns alle. Nürnberg – das war noch nicht der Bruch, wohl aber der erste Riss, der uns von dieser Welt der Hitlerjugend und des BDM (=Bund Deutscher Mädchen) trennte (Vinke, 1980, S. 45).” (Zit. S30)

Sophie Scholl stand damals für eine ethisch-moralische Minderheit, heute steht sie für die Position der Mehrheit.

 

Über die Facetten der „Geschlechtsangleichung”

Bei Gewalt gegen Frauen sind Geschlechtsmerkmale kein zentrales Thema mehr. Im Kampf um rechtliche Gleichstellung wird zurecht auf die heteronormen, homogenisierenden Faktoren hingewiesen. Frausein und Mannsein kommt, so die heute herrschende Meinung, vielfach durch sozial tradierte und normierende Regelungen zustande und ist dabei zu selten Ausdruck des Individuums. Juni ist „Pride-Month“, was wiederum Raum im weiten Feld der Diskurse über Geschlechteridentitäten gibt.

Anfang Mai wurde außerdem die geschlechtsangleichende Operationen an Kindern in der BRD verboten. Intergeschlechtliche Operationen, die das Erscheinungsbild des Kindes, meist Babys, an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anglichen, führten zu großen Problemen für die Betroffenen, die oftmals erst im Erwachsenenalter Kenntnis über den medizinischen Eingriff erhielten. Menschen, die im Erwachsenenalter eine „Geschlechtsangleichung“ vornahmen, sind davon zu unterscheiden, trotz des selben Terminus Technicus.

In den sich verdichtenden Debatten erachte ich den Begriff der „Geschlechtsangleichung“ als unheimlich inspirierend. Eine begriffliche Aus-Dem-Kontext-Setzung des medizinischen Begriffs „Geschlechtsangleichung“ soll dem Verständnis für den notwendigen Prozess der Geschlechtergerechtigkeit helfen. Trotz allgemein geltender Menschen- und Grundrechte und obwohl Freiheit auch ein subjektiver Faktor ist, herrscht allgemein Konsens darüber, dass die faktischen, tatsächlichen Freiheiten und Rechte von Männern um ein vielfaches größer sind als die der Frauen. Eine „Geschlechtsangleichung“ ist daher notwendig, die die Frau an den Mann angleicht, damit aus Rechten für die Frau, weibliche normative Prinzipien werden, die den Raum transformieren und wo sich ihr Potential als Frau entfalten kann. „Für jeden Fußball-Platz einen Frauen-Platz!“ Die „Geschlechtsangleichung“ muss auch umgekehrt erfolgen können. Männer müssen an die Realitäten von Frauen „angeglichen“ werden, indem sie sich als umfassend liebenswerte, beschützenswerte Menschen erleben dürfen.

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