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Aragonès wird neuer katalanischer Regionalpräsident

Spanien

Am 12. Juni 2021 gab es in Madrid eine Grossdemonstration gegen die von der spanischen Regierung geplante Begnadigung katalanischer Separatisten. Die Separatisten waren im Zuge des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums von 2017 verhaftet worden. Eine Freilassung der Politiker, die ein autonomes Katalanien anstreben, ist unpopulär. Nunmehr wird das Geschick des neu gewählten Pragmatikers Pere Aragonès auf die Probe gestellt.

Die politischen Seiten der spanischen Tageszeitungen werden derzeit von drei Themen beherrscht: dem diplomatischen Konflikt zwischen Spanien und Marokko, der sich auf zahlreichen Ebenen ausprägt; dem Umgang mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung seitens der spanischen Regierung; und der Angelobung des katalanischen Regionalpräsidenten. Auf die beiden letztgenannten möchte ich hier näher eingehen.

Nachdem die gesetzliche Frist für die Einsetzung eines neuen katalanischen Regionalpräsidenten letzte Woche ohne Ergebnis abzulaufendrohte – es hätten sonst Neuwahlen stattfinden müssen – hat man sich doch noch auf den jungen Pere Aragonès als neuen Präsidenten verständigt. Er gehört der linksorientierten ERC an und wurde mit den Stimmen der drei für die Unabhängigkeit von Spanien eintretenden Parteien ERC, Junts und CUP zum Regionalpräsidenten gewählt. Berichten zufolge steht Aragonès – im Gegensatz zu manchem Vorgänger – allerdings für keinen populistischen, sondern einen pragmatischen Kurs, der auf jeden Fall auch den Dialog mit der spanischen Zentralregierung mit einschließt.

Dialogbereitschaft kommt auch vom spanischen Ministerpräsidenten, dem Sozialisten Pedro Sánchez, der mittlerweile für eine Begnadigung der verurteilten katalanischen Unabhängigkeitsführer eintritt und diese auch in Gespräche einbinden könnte. Dieser Vorstoß hat ihm bereits heftige Kritik der konservativen und rechtsnationalen Kräfte im spanischen Parlament eingetragen. Unabhängigkeitsbestrebungen sind auch im Europa des 21. Jahrhunderts nichts Neues und werden vermutlich auch nicht verschwinden. Katalanische Unnabhängigkeitsbefürworter vergleichen ihre Forderungen des Öfteren mit dem Ausscheiden Sloweniens aus der jugoslawischen Föderation oder auch mit Schottland, wo möglicherweise 2023 ein neues Unabhängigkeitsreferendum stattfindet.

Der entscheidende Punkt ist immer wieder die Forderung nach „Abhaltung eines offiziellen Referendums“, einer Volksabstimmung über den Verbleib Kataloniens bei Spanien oder der Unabhängigkeit. Ein solches hat zwar im Jahr 2017 in Katalonien stattgefunden, allerdings unter „prekären“ Umständen, da es von der spanischen Zentralregierung nicht bewilligt und mit Verweis auf die Verfassung für „unzulässig“ erklärt worden war.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Volksabstimmungen über Gebietszugehörigkeiten nicht einfach „zu bekommen“ sind. Das Gebiet des heutigen Österreich, wie es sich nach dem Ersten Weltkrieg konstituierte, wurde auch durch Volksabstimmungen (Teile Kärntens und des Burgenlands vor 101 bzw. 100 Jahren) bzw. nicht zugelassene Volksabstimmungen (Salzburg, Tirol, Vorarlberg, die zu Beginn der 1920er ebenfalls mit Anschlüssen an Deutschland bzw. die Schweiz spekulierten) definiert. Das Spannungsverhältnis entspringt meines Erachtens aus dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, wie es der US-amerikanische Präsident Wodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs proklamiert hat, und der Möglichkeit einer weitgehenden Autonomiegewährung innerhalb eines Staatsverbands, etwa nach dem Vorbild Trentino/Südtirol.

Es bleibt, den politisch Verwantwortlichen zu wünschen, dass man sich der geschichtlichen Entwicklungen bewusst ist und nach Lösungen am Verhandlungstisch sucht.

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